Ausstellungseröffnung „Sehnsucht nach Shenzhen“ Heike Hahn 6.3.2014

Dr. Yan Xu-Lackner, Direktorin des Konfuzius-Intituts

 

 

 

Sehnsucht nach Shenzhen – das gibt’s doch nicht! Als Chinesin aus der alten kaiserlichen Hauptstadt Hangzhou, wo der Spruch immer noch gilt: “Oben im Himmel das Paradies, unten auf der Erde Suzhou und Hangzhou”, hatte ich ursprünglich mit einer gewissen Arroganz die Unterschiede zwischen den traditionellen Orten der chinesischen Kultur und den neugegründeten Städten gesehen. Shenzhen, so eine junge Stadt, die in keinem Gedicht besungen wird, in keinem der nationalen Mythen auftaucht, ist für mich zunächst etwas ganz Anderes, ganz Neues gewesen. Allerdings habe ich festgestellt, dass ich nicht allein bin mit einer derartigen Haltung – man braucht nur die Rubrik “Ein Herz für Franken” in den Nürnberger Nachrichten zu lesen. Da wird zwischen Mittelfranken und Oberfranken unterschieden, Westmittelfranken ist schon eine vollständig andere Welt. In diesen Unterschieden bin ich völlig verloren, weil mir die Sensibilität für die radikale Trennung zwischen Westmittelfranken und dem Rest Frankens einfach fehlt. Dann merke ich, dass mein gewissermaßen “ausländischer” Blick auf Franken etwas ist, das nicht in tradierten Mustern lebt.

 

So muss wohl auch die Partnerschaft zwischen Shenzhen und Nürnberg gesehen werden – so ist auch die Leidenschaft von Heike Hahn zu betrachten. Übrigens habe ich mittlerweile mein Bild von Shenzhen durch einen Aufenthalt im letzten Jahr doch erheblich relativieren können: ein Innenblick ist nicht durchweg gleichzusetzen mit einem Blick von außen – und der Blick von außen erschließt uns Dimensionen des Neuen, die wir als Vertreter des “Innenblicks” nicht erkannt hätten. Mittlerweile bin ich sehr froh darüber, dass es die Partnerschaft zwischen Nürnberg und Shenzhen gibt und so zahlreiche Verbindungen zwischen den jeweiligen Kulturlandschaften bestehen – in Musik und vielen anderen Bereichen. Und ich bin auch dankbar dafür, dass ich durch meine Tätigkeit am Konfuzius-Institut ganz neue Einblicke in die Wirklichkeit von Shenzhen bekommen habe – und genau dies macht mich nun gespannt auf die Einblicke, die Heike Hahn als „Sehnsucht nach Shenzhen“ bezeichnet.

 

Das klassische Chinesisch kennt keinen Unterschied zwischen “Denken” und “Sehnen”; beides wird mit einem Schriftzeichen benannt, 思. Der Aspekt eines rein reflexiven Denkens tritt also in den Hintergrund, „ich denke an etwas“ will auch heißen „ich sehne mich nach etwas“.

 

Der moderne Begriff 渴念oder 渴望ist zunächst mit Ke, also Durst, keineswegs mit "Sucht" verbunden. Das zweite Zeichen "nian" oder "wang" verspricht durchaus auch die Möglichkeit und Hoffnung der Erfüllung, was im Deutschen eher schwer fällt - im Wörterbuch der Brüder Grimm lautet die Definition von Sehnsucht: „Grad eines heftigen und oft schmerzlichen Verlangens nach etwas, besonders wenn man keine Hoffnung hat das Verlangte zu erlangen, oder wenn die Erlangung ungewiss, noch entfernt ist”.

 

Da wir heute alle zusammengekommen sind, um die Ausstellung von Heike Hahn zu eröffnen, gehe ich davon aus, daß die chinesische Konnotation überwiegt: Es ist auch schön, daß wir Hoffnung haben, daß der Austausch nicht nur eine Art Sehnzucht bleibt, sondern weitergeht.

 

Der Austausch mit Heike Hahn jedenfalls bleibt nie unerfüllt. Am Konfuzius-Institut haben wir sie nicht nur als Künstlerin, sondern auch als engagierte Kunst-Lehrerin im Austausch mit Schülern aus Shenzhen und Fürth kennen gelernt und -vielleicht eine Seite, die noch nicht viele von Ihnen an ihr kennen - als Sängerin in unserem deutsch-chinesischen Chor.

 

Vor allem aber als Menschenfreundin, offen, unkompliziert, interessiert, hilfsbereit, wach und gesprächig. Da greift sie, so viel sei noch verraten, auch gerne auf ihre Chinesisch-Kenntnisse zurück, die sie ab und an auch am Konfuzius-Institut auffrischt. Bei ihr stehen immer die Menschen, die Verständigung, der Austausch und die Freundschaft an erster Stelle.

 

Wir dürfen also gespannt sein auf die Interviews und Eindrücke, die sie gesammelt und in dieser Ausstellung für uns über die persönlichen Sehnsuchtsorte aufbereitet hat.