ARCHIDOM

PROJEKT WUNSCHHAUS

2009 • Städtische Galerie Traunstein

 

Archidom Wunschhaus

Ein Ausstellungsprojekt von Heike und Helmuth Hahn

 

Ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt war für das Künstlerpaar Heike und Helmuth Hahn die Grundlage für die Verteilung ihrer detailliert ausgearbeiteten Fragebögen. Über 750 Menschen wurden darin nach ihren Vorstellungen und Utopien zu Wunschhäusern und Traumlandschaften befragt. Der 10 Fragen umfassende Katalog bot eine weitreichende Palette von Antworten und Möglichkeiten: „Möchten Sie ein Holzhaus oder eine Villa, bevorzugen Sie für Ihre Immobilie die Einzellage oder doch eher eine dörfliche Gemeinschaft, soll ein Wintergarten, ein Herrenzimmer und ein Whirlpool eingebaut werden?“ Unabhängig und frei von finanziellen, materiellen, geografischen und funktionalen Beschränkungen konnten die Befragten ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Die Angaben der Interviewten wurden von Heike und Helmuth Hahn umgesetzt in künstlerische Objekte, architektonische Ensembles und städtebauliche Visionen. Als Materialien verwendeten sie dafür Stahl und Kunstrasen, Plexiglas und Seife, Fotosimulationen, Slogans aus den Immobilienteilen der Zeitung und Plexiglasdosen aus dem Baumarkt. Es entstanden „Kunsträume“ mit hochartifiziellem Charakter. Die Ausstellung „Archidom Wunschhaus“ von Heike und Helmuth Hahn passte programmatisch in die Veranstaltungsreihe der Städtischen Galerie Traunstein zum Festival „Kunsträume Bayern 08“, weil hier ja tatsächlich kleine und große „Kunsträume“ präsentiert werden, weil der Dialog mit der Öffentlichkeit gesucht wird und weil wir als Betrachter einmal mehr dazu angeregt werden, über gesellschaftliche Fragen und Zusammenhänge nachzudenken, die beim Thema öffentlicher Raum von Bedeutung sind. Was sind die bestimmenden, beeinflussenden Kräfte unserer Wirklichkeitserfahrung, wie einzigartig und individuell sind eigentlich unsere Wünsche und Sehnsüchte? Welche Bilder und Botschaften prägen den öffentlichen Raum und damit jeden von uns? Das Künstlerpaar Heike und Helmuth Hahn stellte sich diesen Fragen und ihre Kunst ist eine Reaktion auf die Besetzung des öffentlichen Raumes durch Werbung und Marketing. Sie bedienen sich dabei aus einem Fundus von Konzepten und Strategien, die in der Ökonomie entwickelt worden sind, verwenden industrielle Materialien und zeitgemäße Mittel zur Gewinnung der Aufmerksamkeit (Farbe, Licht, Leuchtschrift).

Kunst und Werbung stehen seit langem schon in einem wechselvollen Spannungsfeld. Die Pop-Art der sechziger Jahre adelte die Alltagswirklichkeit und widmete sich ausführlich und weitgehend affirmativ den Ikonen der Werbung und des Konsums. Das Verhältnis von Kunst und Werbung ist geprägt von Ablehnung und Anziehung zugleich, denn beide schöpfen aus demselben Reservoire an formalen und technischen Mitteln und suchen immer wieder in wechselseitiger Durchdringung, Sehgewohnheiten zu durchbrechen, um ein neues Publikum zu erreichen. Heike und Helmuth Hahn spiegeln in ihrer künstlerischen Produktion und Intention diesen Antagonismus. Sie kennen die Macht der Bilder, setzen diese selbst ein und wollen gleichzeitig die Funktion der Bilder und ihre manipulative Wirkung mit einer ironischen und kritischen Grundhaltung durchleuchten. Wenn menschliche Werte, wie Identität, Individualismus, Sinnerfüllung und Autonomie weitgehend von den Gesetzen des Marktes vereinnahmt sind, dann kann es der Kunst, die sich eben diese Werte zum Inhalt genommen hat, nicht genügen, in einer simplen Oppositionshaltung zu verharren. Die Herausforderung liegt darin, das vorhandene Material der Wirklichkeit, alle diese vielen Bilder, die uns täglich vor Augen sind und alle diese Sätze, die uns täglich ein mithilfe bestimmter Konsumgüter zu erreichendes freies, individuelles und selbst bestimmtes Leben in Aussicht stellen, - dieses Material unserer Wirklichkeit fließt bei Heike und Helmuth Hahn direkt in die Kunst mit ein. Durch Verfremdung, Abstraktion und Übertreibung, durch Ironie und Reflexion wird es durchlässig und reflexierbar gemacht.

Und so spiegeln uns die Wunschhäuser „Noblesse“ und das solidere Modellhaus „Erika“ unsere Utopien der Glückseligkeit und Individualität, die wir mit den damit verknüpften Lebensstilen und Vorstellungswelten verbinden und die wir, - trotz der Behauptung der Originalität als Schlüsselwert unserer Gesellschaft -, in ihrer Klischeehaftigkeit mit einem Großteil der Bevölkerung teilen.

Programmatisch ist dabei, dass die Hahns einen Teil ihrer Kunst in seriell hergestellter Produktform anbieten und mit Preisen von 12 und 18 Euro fast jedem ermöglichen, Besitzer von Kunst zu werden. Mit diesen Preisen und mit dieser Produkt-/Kunstform, ästhetisch ansprechend in der Papiertüte gleich zum Mitnehmen verpackt, bewegt sich die Kunst von Heike und Helmuth Hahn innerhalb etablierter Vermarktungsstrategien und gibt uns gleichzeitig Anlass, über den Warencharakter und den wahren Charakter von Kunst nachzudenken.

 

 

Judith Bader

Städtische Galerie Traunstein, 2008